Vom „Bienwald Backyard Ultra 2022“

Kandel. 17./18. Juni: 6,706 Kilometer in einer Stunde. Mit zügigem Gehen, garniert mit kürzeren Laufpassagen, ist das zu schaffen. Ob die Teilnehmer beim diesjährigen „Bienwald Backyard Ultra“ diese Strecke nun gehen oder als Tempolauf zurücklegen, ist ihnen überlassen. Wichtig ist nur: Eine Stunde später müssen sie wieder an der Startlinie stehen. Bis sie nicht mehr können. Die Wettervorhersage könnte für ein kürzeres Rennen als in den letzten Jahren sorgen.

Schon am Donnerstagnachmittag waren die meisten der 34 Teilnehmer angereist, um ihre persönlichen Vorbereitungen zu treffen. Zelte wurden aufgestellt, das Equipment kontrolliert und die Örtlichkeiten ausgekundschaftet. Anhand des materiellen Aufwands wird deutlich, dass der Aufenthalt das ganze Wochenende andauern kann. Nach ersten lockeren Gesprächen unter den Teilnehmern fand man sich im Verpflegungszelt zusammen, wo die Teilnehmer durch Organisator Michael Ohler begrüßt und die Startnummern inklusive Backyard-Shirt verteilt wurden. Wie jedes Jahr waren die Teilnehmer von der Gastfreundschaft der Kandeler begeistert: Es gab Nudeln mit Tomatensoße, Kaffee und Kuchen sowie alkoholfreies Bier. Die Gespräche drehten sich fast ausschließlich um den Ultralauf mit den dazugehörigen Erlebnissen, welche die Teilnehmer auf der ganzen Welt sammelten.

Großes Thema war die zu erwartende Hitze, die am Samstag auf bis zu 38 Grad Celsius steigen soll. Prognosen, wie die Hitze den Rennverlauf beeinflussen kann, gibt es von den Ultraläufern nicht: Das Wetter ist nur eines von vielen Parametern, die über die eigene Leistung entscheiden.

Der Wettkampftag begann mit einem Fototermin: Von jedem Teilnehmer wurde ein Passbild erstellt, welche dann ihren Weg an eine Fotowand fanden. Sobald ein Teilnehmer das Rennen beendet, wird sein Bild abgehängt und man sieht damit deutlich, wer noch im Rennen ist. Nachdem die Teilnehmer ihre Eigenverpflegung und Campingstühle bereitgestellt hatten, ging es auch schon los. Das Wetter kann man gut an der Verpflegung erkennen: Die Veranstalter stellen unter anderem Wassermelonen und Wassereis zur Verfügung, was von den Läufern rege konsumiert wird.

Pia Winkelblech (TSV 1886 Kandel), einzige Starterin aus der Südpfalz, läuft die mit Abstand schnellsten Rundenzeiten. Während sich andere bis zu 55 Minuten Zeit lassen, stehen bei ihr konstant zwischen 33 und 34 Minuten zu Buche. Nach 8 Runden und somit 53 Kilometern beendet sie das Rennen um 16:35 Uhr. Für manch Außenstehende überraschend, so war dies bereits länger geplant. „Es war von vornherein klar, den Backyard als langen Trainingslauf mitzunehmen, da schon am morgigen Samstag ein intensives Training mit vielen Höhenmetern ansteht“, gab sich die Verwaltungsangestellte zufrieden. Der Lauf dient auch der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften im 100 km-Lauf, die Ende August in Bernau vor den Toren Berlins stattfinden werden. In Kürze wird sie erfahren, ob sie im deutschen Nationalteam oder as Einzelstarterin antreten wird. Als Dritte der deutschen Meisterschaften im badischen Ubstadt-Weiher stehen die Chancen gut. L

Um 21:00 Uhr sind die Temperaturen spürbar gesunken. Nun steht der Wechsel von der Tag- auf die Nachtrunde an, welche sich größtenteils auf asphaltierten Wegen mit guten Sichtbedingungen befindet. Am Samstagmorgen geht es dann wieder auf die Waldstrecke. Samstag Nachmittag um 13 Uhr naht die Entscheidung: Norman Mascher-Aspensjö macht sich alleine auf die letzte Runde, um sich im Ziel nach 30 Stunden und 201,18 gelaufenen Kilometern als „Last Man Standing“ feiern zu lassen. Die wenigsten Probleme mit den Umständen hatte der Sieger aus Berlin. Der 42-jährige Mediengestalter tränkte vor jeder Runde ein Tuch in Wasser und steckte sich dieses unter seine Mütze. „Um mich vor Sonnenbrand zu schützen, bin ich den Großteil der Tagstrecke mit einem langärmligen Shirt gelaufen. Gepaart mit den schattigen Passagen im Bienwald war dies wohl der effektivste Schutz gegen die Einstrahlung“, war der Sieger zufrieden mit seiner Kleiderwahl. 0,33 l Wasser sorgten auf jeder Runde für ausreichend Flüssigkeitszufuhr. Ziele in Form von zu laufenden Runden hatte er sich keine gesetzt. „Das war mein erstes Rennen dieses Formats. So einen richtigen Plan hatte ich gar nicht und wollte mir da auch nichts Konkretes vornehmen wie beispielsweise 12 oder 24 Runden. Das ist nicht gut für den Kopf, da es ein Ende suggeriert, was in diesem Wettbewerb ja so weit wie möglich nach hinten geschoben werden soll“, war er froh, sich im Vorhinein nicht zu viele Gedanken gemacht zu haben. Einen Rhythmus zu finden, sei nicht einfach gewesen: „Es hat ca. 5-6 Runden gedauert, bis ich es geschafft habe ein gutes Verhältnis zwischen Laufen und Gehpausen zu finden. Da ich normalerweise viel schneller laufe, war das gar nicht so einfach“. Seine Marathon-Bestzeit liegt bei 2:46 Stunden, gelaufen in seiner Heimatstadt. Zum ersten Mal über 100 km ist er erst im Mai diesen Jahres in Wuppertal gelaufen, als er für die 100 Kilometer 7:42 Stunden benötigte.

Schon auf Platz vier, hinter Tim Weißbach und dem Südafrikaner Eduan Kruger, wurde Tanja Höschele als erste Frau, und somit „Last Woman Standing“, gelistet. Die 50-jährige aus dem badischen Straubenhardt konnte mit 26 Runden (174 km) ihr Ziel zwar nicht ganz erreichen, war mit der Auszeichnung als beste Frau trotzdem sehr zufrieden. „Eigentlich waren 30 Runden geplant, jedoch bekam ich nach 26 Runden Kreislaufprobleme. Da ich damit schon mal zu tun hatte, wusste ich, dass dagegen nichts mehr hilft und ich jetzt aussteigen muss“, so Höschele, die schon nach 18 Runden den Verlust ihres Laufpartners verkraften musste. Von da an sei es mental sehr schwer gewesen, was sie durch die Kameradschaft der anderen Teilnehmer irgendwann kompensieren konnte. Zum Laufsport kam die Sekretärin einer Jugendmusikschule vor über 20 Jahren. Nach anfänglichen Marathonläufen, unter anderen startete sie mehrmals beim Bienwald-Marathon, merkte sie schnell, dass die Strecken länger und eher in der Natur liegen sollen, was alsbald die Teilnahme an Ultraläufen zur Folge hatte.

Organisator Michael Ohler war erleichtert. Nicht nur die Hitze an sich, sondern auch die Sorge um die Gesundheit der Athleten hatte ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Es sollte jedoch bei, auch durch die Temperaturen bedingten, Magenbeschwerden bleiben, die manch Teilnehmer zum Aussteigen bewegten.

Die Rundenanzahl des Siegers hat mit dem „Silver Ticket“ zu tun. Der Sieger darf nun an den „Big Dog`s Satellite World Championships 2022“ am 15.10.2022 im Team Germany antreten . Jedes Team startet dann zeitgleich in seinem Land, Team Germany wird in Kandel antreten.

Was alle Teilnehmer, Erfahrene wie Neulinge, eint, ist die Begeisterung über die Atmosphäre und die Organisation. Während viele von den Helfern schwärmten, die etliche Wasserkanister geschleppt haben, adelt die erfahrene Ultraläuferin Höschele Organisator Michael Ohler und seine Kandeler Mitstreiter: „Die Verpflegung war das Beste, was ich je gesehen habe. Es gab wirklich alles, was man sich vorstellen kann“. Zu den bewährten Bananen, Orangen und Elektrolytgetränken gesellten sich, aufgrund des hohen Schweißverlusts, viele salzhaltige Dinge wie beispielsweise Chips und Salzbrezeln. Für den größeren Hunger wurden leicht verträgliche Salzkartoffeln und Kartoffelsuppe geboten. Um die Seele zu besänftigen und für Abwechslung zu sorgen, stellten die Veranstalter herzhaftes wie Kuchen, Pommes, Pizza, Flammkuchen und gar Nutellabrot bereit. (DB)